DAS SCHULLEITUNGSPROGRAMM „S4“– UND MEINE FREUDE, DORT AKADEMIELEITUNG ZU SEIN …
Ein Unterstützungsprogramm für Schulleitungen nach
dem Vorbild von „impakt schulleitung“ in Rheinland-Pfalz
von Christina Terfurth
Ich arbeite seit vielen Jahren mit der Wübben Stiftung zusammen und bin immer wieder begeistert über die gleichzeitig hoch professionelle wie auch menschlich nahe und wertschätzende Haltung gegenüber allen Beteiligten im Programm „impakt schulleitung“. Gerne berichte ich aus der Sicht einer Schulentwicklungsbegleiterin über mein Erleben im Programm und welche Bedeutung ich insbesondere einer systemischen Haltung in der Schulentwicklungsarbeit zuschreibe.
DER HANDLUNGSRAUM …
Der Beginn: Februar 2020. Trier, ganz oben auf dem Berg. Wir, zwei Projektleitungen und zwei Akademieleitungen, begrüßen 26 Schulleiterinnen und Schulleiter aus 26 Schulen im Brennpunkt. Drei gemeinsame Jahre liegen vor uns. Es ist die erste Akademie von neun geplanten. Im Projekt „S4 – Schule stärken, starke Schule“ in Rheinland-Pfalz nach dem Vorbild von „impakt schulleitung“ wollen wir einen Resonanz- und Ermöglichungsraum entstehen lassen, in dem sichtbar und wirksam Schulentwicklung gedeihen kann. Es ist die Einladung, sich auf den Weg zu machen, Visionen zu wagen, Ziele zu definieren, mit Unterstützung von Schulentwicklungsbegleitenden und Coaches und in
stetiger Partizipation aller Beteiligten vor Ort. – Im-Pakt … der Name ist Programm: Einfluss nehmen. Konkret sein und werden. Spuren legen. Nachhaltige Projekte initiieren, begleiten, vertiefen: ich genieße es, gemeinsam im Team den S4-Prozess zu begleiten. Gleich zu Anfang gibt es viele Fragen. Gut so! Die Bereitschaft, sich auf den Weg zu machen und eine zuversichtliche Offenheit sind da …
Unsere Zusage: Die Akademien selbst wollen Modell sein. Experimentier- und Gedeihraum für Person, Rolle und System. Inspiration. Wertschätzung. Herausforderung. Unser Konzept, die Themen, die Methoden sind so angelegt, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst in den Akademien erleben, was Person- und Systementwicklung bedeuten kann. Schritt für Schritt. „Tun, was wir sagen“, ist unser Kompass …
Unsere Einladung: „Seien Sie mutig, stellen Sie in Frage, leiten Sie sich und Ihr System vor Ort wach und gegenwärtig durch diesen Prozess. Probieren Sie aus, spielen Sie mit Perspektiven, switchen Sie, transferieren Sie, und vor allem, nehmen Sie immer wieder die Wirkungslogik in den Blick: „Was bedeutet das, was wir hier tun, für Sie selbst, für Ihre Kollegien, für die Schülerinnen und Schüler vor Ort?“ Auf dieser Basis schließen wir mit den Schulleitungen einen gemeinsamen Kontrakt und verankern darin Partizipation, Augenhöhe, Inspiration, gegenseitige Verlässlichkeit, Verbindlichkeit. Eine Akademiekultur entsteht …
DER PROZESS …
Gemeinsam machen wir uns auf den Weg, vielfältig in Thematik und Methodik – und halten immer wieder an diesen Stationen:
„Wahrnehmen …“ – was ist. Die Schulleiterinnen und Schulleiter erstellen z.B. eine Bestandsaufnahme der Schulsituation vor Ort, so klar und umfassend wie möglich. Gleichzeitig schauen sie von der Zukunft her. Sie wagen eine erste Vision. Was könnte in drei Jahren den Unterschied ausmachen – für mich, für uns, für die Schule. Ein-Blick in Futur II.
Die Qualität des „Wahrnehmens“ – was liegt für uns dahinter? Schule ist ein Ort, in dem Bewertung lange schon wesentlicher Teil des Geschehens ist; etwas ist richtig oder falsch, gut oder schlecht. Was verändert sich, wenn wir diesen gewohnten Blick um einen anderen erweitern, wenn wir auf die Wirkung schauen? „Welches Handeln hat welche Wirkung?“ Dieser Zugang stärkt eine akzeptierte Fehlerkultur, die zum Ausgangspunkt kreativer Lern- und Entwicklungsprozesse wird.
„Erfassen …“ – Die Teilnehmenden beschäftigen sich damit, was die aktuelle Bestandaufnahme bedeuten kann und welche Möglichkeiten potenziell für die Schulen darin liegen. Sie tun das nicht für sich allein, sondern holen immer wieder Feedbacks zu eigenen Deutungsansätzen ein und stellen sich mit ihren Resonanzen für die je anderen zur Verfügung. Nicht bewertend, sondern auf die Wirkungen schauend. Sie bilden Netzwerke – in den Akademien und in den Schulen vor Ort.
Die Qualität des „Erfassens“ – was liegt für uns dahinter? Gemeint ist hier ein komplexes Verstehen und Begreifen in einem Prozess des sich gegenseitig Raumgebens und Zuhörens: Otto Scharmer beschreibt, wie dies im Sinne eines „deep dialog“ wirksam geschehen kann: Es führt vom Downloaden („Ich kenne schon alles, was Du sagst.“), über das faktische Zuhören („Ah, ich höre Neues in dem, was Du sagst.“), über das empathische Zuhören („Ich höre Dir von Deiner Perspektive aus zu.“) zum schöpferischen Zuhören („Wenn ich Dir zuhöre, entstehen in mir Resonanzen und Ideen“). Die Schulleitungen erleben, wie eine solche Dialogkultur die eigene Perspektive weitet und somit Verstehensprozesse vertiefen kann; in den Akademien, und potenziell auch in der Schule …
„Hinspüren …“ – Welche Emotionen zeigen sich im Blick auf die jeweiligen Schulwirklichkeiten? Was spüren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Personen und in ihrer Rolle als Schulleitung? Welche Emotionen nehmen sie bei anderen wahr, bei den Akademieteilnehmenden und auch bei den Beteiligten in ihren Schulen vor Ort? Wohin führt sie das Wahrnehmen, das Erfassen, das Hinspüren? Die Gegebenheiten vor Ort ganzheitlich und umfassend zu betrachten, führt zu einem weiten Blick auf Gewohntes, auf Wirksamkeiten und Sichtweisen. Vorhandene Projekte kommen auf den Prüfstand, werden vielleicht verabschiedet oder modifiziert, neue dürfen erdacht werden.
Die Qualität des „Hinspürens“ – was liegt für uns dahinter? In der westlichen Welt sind wir eher kognitiv geprägt und bringen unsere vielfältigen Ressourcen daher nur teilweise ein. Luc Ciompi benennt Kognition, Affekt und Physis als drei gleichwertige handlungsleitende Säulen des Menschen. Studien belegen, dass Lern- und Entwicklungsprozesse an Verankerung und Nachhaltigkeit gewinnen, wenn alle drei Säulen einbezogen werden. Unsere Akademien beruhen auf dieser Erkenntnis und stehen auch hier modellhaft für die Transfermöglichkeiten in Schule …
„Seien Sie mutig, stellen Sie in Frage, leiten Sie sich und Ihr System vor Ort wach und gegenwärtig durch diesen Prozess.”
Christina Terfurth
„Innehalten/Wesentlich sein …“ – Was entdecken die Teilnehmenden, wenn sie sich und ihrem System Innehalte-Zeiten einräumen? Zeiten, in denen sie sich verständigen, kalibrieren und vergegenwärtigen, was ihnen wirklich wesentlich ist. Zeiten, in denen sie den „Purpose-Kompass“ auslegen und sich fragen, was der gemeinsame Sinn ist, die gemeinsame Identität, aus der heraus sich all ihr Tun
speist. Welche Habensziele (was will ich, wollen wir erreichen?), und welche Seinsziele (wer möchte ich, möchten wir dabei sein?) leiten ihr Tun?
Die Qualität des „Innehaltens/Wesentlichseins“ – was liegt für uns dahinter? Im gesellschaftlichen Kontext fragen wir oft: Was wollen wir tun? Und wie tun wir es? Und handeln dementsprechend. Seltener geben wir uns Zeit und Raum, die Frage nach der persönlichen und systemischen Identität zu stellen. Was macht uns aus? Was ist unser (gem-)einsamer Purpose? Woraufhin richten wir uns aus? Je tiefer wir spüren, was uns wesentlich ist, wo wir in Resonanz sind, desto wirksamer entsteht der innere Ort, aus dem heraus wir kongruent und überzeugend handeln können. Es geht um eine selbst-bewusste Haltung, die zu wirksamem Verhalten führt …
Inspiration/Intuition … – Die Schulleitungen erleben ihre eigene Lebendigkeit, sie erleben, welche Freude es machen kann, sich auf kreative, intuitive Prozesse einzulassen und wie befreiend es sein kann, auch Verrücktes, Verrückendes zu denken, ohne solche Einfälle direkt zu zensieren, zu bewerten.
Die Qualität der „Inspiration/Intuition“ – was liegt für uns dahinter? Wenn Du etwas so machst, wie Du es immer schon gemacht hast, dann bleibst Du im Dir bekannten Erlebnisraum und es bleibt so, wie es immer schon war (vgl. Charles Kettering). Wir trauen und muten den Teilnehmenden und ihren Schulen etwas zu, wir ermuntern sie, auch unsicheren Boden zu betreten, die eigenen Grenzen Schritt
für Schritt zu erweitern. Uns leitet die Grundannahme, dass „jeder Mensch kann, was er potenziell kann“ (Ruth C. Cohn). Wie wunderbar wäre es, wenn die Schulen zu Räumen werden, in denen Menschen ihre bereits vorhandenen, nicht immer schon erkannten, gelebten Potenziale freilegen. „Schulen entwickeln sich dort, wo Menschen sich in ihnen entwickeln“ (Wolfgang Böttcher).
Konkretisieren/Planen … – Auch die genialste Idee bleibt leer, wenn sie nicht in die Konkretion geführt wird. Die Schulleitungen bringen das in den Akademien Erlebte und Gelernte immer wieder mit den konkreten Prozessen ihrer Schulen in Verbindung. Sie planen gemeinsam mit den Menschen ihrer Schule Weiterentwicklungen von bereits Installiertem, sie definieren Schritte für Neu- Implementationen, sie gleichen ihre Planungsweise mit dem jeweiligen Purpose ab. Sie beziehen den Kontext, Widerstände, z.B. mögliche Befürchtungen von „Nochmehrarbeit“ ein und sie avisieren eine Kultur der Gelassenheit und Lernfreude, eine Stärkung der gemeinsamen Identifikation.
Die Qualität des „Konkretisierens/Planens“ – was liegt für uns dahinter? Die Welt fordert uns heraus. Im Großen wie im Kleinen. Vieles ist nicht so, wie wir es uns wünschen. Und jetzt? Das ist eine sehr anspruchsvolle Übung. Ruth C. Cohn fragt: „Was tue ich mit mir, wenn die Welt nicht so ist, wie ich sie mir wünsche?“ Es geht darum, immer wieder auf die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu schauen, sich
nicht abhängig davon zu machen, ob und wann im Außen gewünschte Veränderungen geschehen. Ruth C. Cohns Satz geht weiter: „Niemand ist ohnmächtig, niemand ist allmächtig, jede und jeder ist teilmächtig.“ Es geht darum, die konkreten Möglichkeiten der (Selbst-)wirksamkeit in den Blick zu nehmen, modellhaft auf allen Ebenen …
Von der Zukunft her handeln … – Letztendlich geht es ums sichtbar Sein und Werden der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sowohl in den Akademien als auch als Schulleitung vor Ort. Es geht darum, dass die Beteiligten sich selbst als wirksam und wesentlich wahrnehmen, dass ihr Handeln von der Einsicht geleitet ist, dass es einen Unterschied macht, ob und wie sie aktiven Anteil am
Prozess haben und nehmen. Erst dann bleibt „S4“ nicht nur ein Name. Perspektivisch geht es um nichts weniger, als dass die Schülerinnen und Schüler von heute die sind, die die Welt von morgen in ihren Händen halten. Sie brauchen eine Idee von dieser Verantwortungsteilhabe und Räume, in denen sie sich daraufhin ausprobieren können. Schritt für Schritt. Immer wieder neu.
Die Qualität des „Von der Zukunft her Handelns“ – was liegt für uns dahinter? Aus der Schulleitungsperspektive ist es in den Akademien immer wieder der Dreiklang aus: Wie leite ich mich selbst? Wie leite ich (m)ein Kollegium? Wie kreieren, wie installieren wir gemeinsam ein wirkungsvolles Projekt, das den Schülerinnen und Schülern dient? Die Schulleitungen sind dabei Modell, sie nehmen ihre Verantwortung wahr. Dazu noch einmal Ruth C. Cohn: „Be your own chairperson“ – übernimm sichtbar Verantwortung – mit Blick auf Dich, die anderen, die Aufgaben und die Welt – und tu dies von einer konstruktiv erdachten Zukunft her …
„Perspektivisch geht es um nichts weniger, als dass die Schülerinnen und Schüler von heute die sind, die die Welt von morgen in ihren Händen halten.”
Christina Terfurth
DAS ABENTEUER …
So viele Momente aus dem lebendigen Geschehen der Akademien wären zu berichten. Mich berühren all die engagierten Menschen dort und wie intensiv sie sich einbringen, in Resonanz gehen, sich riskieren, konstruktiv in Frage stellen und vor allem: wie sehr sie ihre Potenziale freisetzen, persönlich und systemisch.
Inzwischen steht die achte Akademie vor der Tür. Eine zweite Gruppe von 27 Schulleiterinnen und Schulleitern hat sich ebenfalls auf den Weg gemacht und bereits fünf Akademien durchwandert. Mit eben dieser intensiven Lebendigkeit. Vieles ist in Bewegung (gekommen). Aus manchen Fragezeichen sind Ausrufezeichen geworden, neue Fragen sind entstanden. Gut so. Die Be-WEG-ung dauert an.
Wir Akademieleitungen tauschen uns bundesweit aus. „Man braucht Rezepte, kein Rezept ist brauchbar.“ Es gibt die gemeinsame Idee, das gemeinsame „Rezept“ und die individuelle Umsetzung vor Ort. „Die Gewürze, Töpfe, Zutaten und Küchen“ der Akademien, Bundesländer und Schulen sind verschieden, so wie es dem jeweiligen Transformationsprozess dient. Jedes Bundesland, jede Akademie, jede Schule, jede Schulleitung, jedes Kollegium, jede Schülerin und jeder Schüler findet ihren und seinen ganz individuellen Weg. Inspirierend vielfältig. Homogen und heterogen zugleich. Eine Freude, Teil dieses lebendigen Abenteuers zu sein.
Christina Terfurth ist seit 2020 als Akademieleitung im Unterstützungsprogramm für Schulleitungen in Rheinland-Pfalz tätig. Es nennt sich „S4 – Schule stärken, starke Schule“ und ist ein Projekt nach dem Vorbild von „impakt schulleitung“. Auch in anderen Bundesländern arbeitet sie als externe Moderatorin mit den verschiedenen Schulleitungen z.B. zum Thema „Haltung im professionellen Kontext“ in Bogenschießen-Outdoor-Workshops. Lange Jahre war sie selbst Schulleitungsmitglied in einem Berufskolleg in NRW. Sie ist Supervisorin, Coach, Trainerin für intuitives Bogenschießen und seit vielen Jahren in der Führungskräfteentwicklung engagiert.
Christina Terfurth
Akademieleitung
Weitere Perspektiven und mehr zum Thema finden Sie hier im neuen impaktmagazin „Programme & Strukturen für Schulen im Brennpunkt”
Was ist „impakt schulleitung”?
Das Programm „impakt schulleitung” der Wübben Stiftung stärkt Schulleiterinnen und Schulleiter von Schulen im Brennpunkt. Es unterstützt sie bei der Weiterentwicklung ihrer Schule und möchte dazu beitragen, dass sich die Lernbedingungen für die Schülerinnen und Schüler nachhaltig verbessern. Der Fokus liegt dabei, auf den zentralen Handlungsfeldern von Schulleitungen: Schulmanagement und pädagogische Führung. Zusätzlich rückt das dreijährige Unterstützungsprogramm die Vernetzung der Schulleitungen und die Wertschätzung ihrer Arbeit in den Mittelpunkt. Weitere Informationen zum Programm finden Sie hier.
Ansprechpartnerin für die Presse:
Wübben Stiftung
- Tamara Endberg-Krenn, Kommunikationsreferentin
- Cantadorstr. 3, 40211 Düsseldorf
- endberg-krenn[at]wuebben-stiftung.de