10 Jahre Wübben Stiftung Bildung heißt es im Mai 2023. Zu diesem Anlass haben wir ein Gespräch mit unserem Stifter und Geschäftsführer Dr. Walter Wübben und und unserem Geschäftsführer Dr. Markus Warnke geführt über ihren Antrieb und Optimismus auch in schwierigen Zeiten.
Herr Dr. Wübben, vor 10 Jahren haben Sie die Wübben Stiftung (nun Wübben Stiftung Bildung) gegründet. Was war damals Ihre Motivation?
Walter Wübben: Meiner Überzeugung nach ist Bildung die zentrale Ressource dieses Landes und damit der Schlüssel für die Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen in der Gesellschaft. Der Bereich der Bildung leidet seit Jahren unter der sträflichen Vernachlässigung durch die Politik – trotz der zunehmenden Herausforderungen. Offensichtlich können sich die staatlichen bleiernen Strukturen dem gesellschaftlichen Wandel nicht so schnell anpassen. Stiftungen sind hier offener, können über Projekte neue Ansätze erproben und Impulse setzen und können etwas Sinnhaftes bewirken. Zumindest ist das mein Anliegen. Es geht also darum, den Nachteil der Kinder auszugleichen, die aus sozioökonomisch schwachen Familien kommen. Diesen Auftrag haben sehr viele Bildungsstiftungen in Deutschland. Herr Dr. Warnke, können Sie erklären, wie die Wübben Stiftung Bildung versucht, ihren Stiftungszweck zu erfüllen?
Markus Warnke: Es geht um faire Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig von ihrer Herkunft. Die spielt in Deutschland eine so prägende Rolle wie in keinem anderen vergleichbaren Land. Gerade Schulen in Deutschland setzen auf die Unterstützung der Eltern, das verstärkt den Herkunftseffekt noch einmal, lässt die Schere immer weiter auseinanderklaffen. Und Herr Dr. Wübben hat vor 10 Jahren nicht nur gesagt, dass er dagegen etwas tun möchte und damit den Stiftungszweck begründet, sondern er hat auch seine Erwartung an die Arbeit seiner Stiftung formuliert. Es geht ihm um Wirkung und Nachhaltigkeit.
Wie sieht denn Ihre Bilanz nach 10 Jahren aus?
Wübben: Ich sehe, dass wir uns über die Jahre ein klares Profil erarbeitet haben und in Fachkreisen auch dabei sind, Reputation weiter aufzubauen. Als Unternehmer würde ich von einem Unique Selling Point, einem USP, sprechen. Schulen im Brennpunkt, das ist unser klares Thema. Ich sehe auch, dass es der Stiftung gelungen ist, über ihre Projektarbeit mit einigen Bundesländern intensiv zu arbeiten und Vertrauen aufzubauen. Auf dieser Basis kann sich die Stiftung mit ihren Ideen einbringen. Aber ich bin ebenso sicher, dass wir das Profil noch weiter schärfen müssen.
Warnke: Vielleicht darf ich etwas zur Bilanz sagen. Herr Dr. Wübben hat betont, dass wir einen klaren Markenkern haben: die Schulen im Brennpunkt. Wenn wir uns aber die Leistungs-entwicklungen der Schülerinnen und Schüler gerade aus den sozial- und bildungsschwachen Familien anschauen, dann hat sich die Lage in den letzten Jahren weiter verschlechtert. Wenn wir uns die Situation des Fachkräftemangels unter den Lehrkräften, den Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern, den Ganztagskräften gerade an diesen Schulen ansehen, stehen wir vor riesigen Problemen. Die bauliche Situation, die Ausstattung der Schulen hat sich in Summe ebenfalls verschlechtert. Wir stehen vor einer echten Bildungskatastrophe. Deswegen kann eine Bilanzierung der Stiftungstätigkeit nur vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen erfolgen. Wir wollen doch Wirkung entwickeln. So selbstkritisch müssen wir schon sein und uns der Frage stellen, ob wir tatsächlich etwas bewirkt haben oder bewirken können. Es fühlt sich für uns manchmal an wie ein Kampf gegen Windmühlen. Doch ich sage immer, dass wir Stiftungen von Berufs wegen zum Optimismus verpflichtet sind. Aufgeben ist keine Alternative. Es geht schließlich um die Perspektiven von Kindern und Jugendlichen in unserem Land.
Wübben: Sicher, die objektiven Daten sind schlechter geworden. Das ist für mich aber erst recht ein Grund weiterzumachen. Wir müssen vielmehr noch stärker die Situation dieser Schulen in die Öffentlichkeit bringen. In den letzten 10 Jahren habe ich gelernt, dass die strategische Kommunikation ein immer wichtigerer Teil der Stiftungstätigkeit ist. Ich halte mich öffentlich ja sehr zurück, wenn es um meine Stiftungstätigkeit geht. Aber um der Sache willen, für den Stiftungszweck müssen wir noch lauter werden.
Das ist eine gute Überleitung für den Blick nach vorne. „Laut sein für die Leisen“ ist der noch recht junge Slogan der Stiftung. Was wollen Sie mit dieser Botschaft sagen, Herr Dr. Warnke?
Warnke: Wir haben oft gehört, dass sich die Schulen, an denen wir aktiv sind, nicht gehört fühlen. Es sind die Eltern, die nicht wissen, dass sie sich bemerkbar machen müssen für ihre Kinder. „Die klagen ja nicht.“ Das hat mir mal jemand mit viel Verantwortung in einer Kommune gesagt. Wir haben gemerkt, dass wir mehr öffentlichen Druck ausüben müssen, wenn wir als Lobbyistin für Schulen im Brennpunkt agieren wollen. Wir müssen laut sein für die, die nicht gehört werden, weil sie still oder zu leise sind oder man sie nicht hören möchte.
Wübben: Das ist doch oft so in der Politik. Es braucht neben der Hilfestellung für Schulen und Ministerien mit konkreten Ideen und Impulsen auch immer mal wieder den Weg über die Öffentlichkeit, um auf Probleme hinzuweisen. Erst dann wird reagiert – oder zumindest schneller. Da sehe ich eine wichtige Aufgabe der Stiftung. Durch ihre Nähe zu den Schulen sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dran an den täglichen Aufgaben und Herausforderungen dieser Schulen. Infolge der guten Kontakte zu den Ministerien können diese Themen auch direkt weitergegeben werden und trotzdem dauert es oft zu lange.sterien mit konkreten
Beschreibt Herr Dr. Wübben damit nicht einen Rollenkonflikt?
Warnke: Das ist schon so. Einerseits arbeiten wir sehr eng mit den öffentlichen Stellen zusammen. Wir sind auf gute, verlässliche und vertrauensvolle Beziehungen angewiesen. Und an vielen Stellen merken wir, dass wir im System wirksam sind. Andererseits gibt es bei so großen Baustellen, wie etwa dem Fachkräftemangel oder den Lehr- und Lernbedingungen an den Schulen, so große Probleme von einer Dimension, wo nur durch Öffentlichkeit etwas bewegt werden kann. Viele Verantwortliche in den Ministerien wünschen sich mehr Druck von außen, weil erst dann die Bereitschaft für Veränderungen in diesem Bildungssystem wächst, das sehr beharrlich ist. Und sehr oft geht es um Ressourcen, ums Geld. Die Finanzmittel werden danach verteilt, wer am lautesten schreit. Wenn man so will, geht es darum, die Finanzminister und Finanzministerinnen zu überzeugen. Wer uns kennt, weiß, dass wir uns aus diesem Verständnis heraus melden. Nicht um Personen bloßzustellen oder gar Parteipolitik zu machen – sicher nicht -, sondern um unseren Stiftungsauftrag zu erfüllen.
„Laut sein für die Leisen“ ist ein Slogan und beschreibt, dass die Stiftung sich noch stärker in die öffentlichen Debatten einbringen will. Wie sieht die weitere strategische Perspektive aus?
Wübben: Ich denke, dass wir unseren USP noch stärker herausarbeiten können und sollten. Wir sollten uns in Deutschland als einer der zentralen Akteure positionieren, wenn es um das Thema Schulen im Brennpunkt geht. Zu Coronazeiten, bei den Schulschließungen, haben wir auf einmal eine große Nachfrage erlebt. Wir wurden gehört, unsere Expertise wurde geschätzt. Mit dem angekündigten „Startchancen“-Programm gibt es die Möglichkeit, dieses Wissen weiterzugeben. Es wird 4 .000 Schulen geben, die wir ansprechen können. Herr Dr. Warnke hat die negative Entwicklung in den Leistungen der Schülerschaft und bei den Rahmenbedingungen angesprochen. Für mich ist das kein Grund zur Resignation, sondern noch viel mehr Antrieb und Auftrag für die Stiftung. So traurig es ist, aber es gibt hier einen noch größeren Bedarf und damit noch größere Herausforderungen für die Stiftung.
Warnke: Wir wollen den Fokus in der Tat noch intensiver auf die Schulen im Brennpunkt richten. Wir sind sicher, da geht noch mehr! So beschäftigen wir uns noch intensiver mit der Frage, welchen spezifischen Beitrag etwa eine Schulleitung, Schulaufsichten oder die anderen Ebenen für fairere Bildungschancen leisten können. Wir möchten auch nach außen hin, besonders auch über das „impaktlab“, die wissenschaftliche Einheit der Stiftung, noch stärker auf das Thema „Brennpunkt“ setzen. Und schließlich haben wir natürlich das „Startchancen“-Programm mit den 4 .000 Schulen im Blick und überlegen, wie wir uns dort einbringen können. Außerdem wollen wir zur Debatte um die datengestützte Schul- und Unterrichtsentwicklung unseren Beitrag leisten. Denn wenn es darum geht, die Ungleichheit an den Schulen aufzufangen, muss es gerecht und effizient zugehen. Es braucht dafür nachvollziehbare Kriterien, also folgende Schwerpunkte: datengestützte Schul- und Unterrichtsentwicklung als einen wesentlichen Beitrag für mehr Chancengerechtigkeit, gekoppelt mit einem noch klareren Fokus und Bekenntnis zu Schulen im Brennpunkt, und dann schauen wir mal, wo wir in 10 Jahren stehen …
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview ist in unserem impaktmagazin „Schulen entwickeln” (2023) erschienen.