„Geld allein schießt keine Tore“ – was im Fußball gilt, lässt sich auch auf Investitionen an Schulen übertragen. Es braucht qualifizierte Leitungen mit einer klaren Perspektive für die eigene Schule und für den zielgerichteten Einsatz von Mitteln. Was bedeutet das für das Programm, das die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigt hat?
von Dr. Markus Warnke, Geschäftsführer der Wübben Stiftung
„Startchancen"-Programm im Koalitionsvertrag
Zunächst lohnt ein Blick in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Dort heißt es, dass „mehr als 4.000 allgemein- und berufsbildende Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler besonders“ gestärkt werden sollen. Dazu werden drei Punkte benannt:
Ausstattung: Schulen sollen „mit einem Investitionsprogramm für moderne, klimagerechte, barrierefreie Schulen mit zeitgemäßen Lernumgebungen und Kreativlaboren“ unterstützt werden.
Personal: Es werden dauerhafte Stellen für schulische Sozialarbeit in Aussicht gestellt, sowie die Förderung von „Schulentwicklung und Berufsorientierung im Rahmen weiterer Programme.“ Neben diesem „Startchancen“- Programm soll es für weitere 4.000 Schulen zusätzliche Stellen für die Schulsozialarbeit geben, und es sollen „dauerhaft und unbürokratisch Angebote für Lernförderung und soziokulturelle Teilhabe“ etabliert werden, „um sicherzustellen, dass die Inanspruchnahme dieser Leistungen steigt.“
Budget: Schließlich ist von einem „Chancenbudget zur freien Verfügung“ die Rede, „um Schule, Unterricht und Lernangebote weiterzuentwickeln und außerschulische Kooperationen zu fördern.“
Die Frage der Zuständigkeit
Das Programm berührt damit unmittelbar die für die Ausstattung zuständigen Träger, d.h. zu einem überwiegenden Teil die Kommunen, die Hoheit der Länder, denen die Organisation der inneren Schulangelegenheit obliegt und es weckt Erwartungen bei einer Reihe von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, die in einer Vielzahl die Schulsozialarbeit organisieren. Für keinen dieser Bereiche ist jedoch der Bund originär zuständig. Selbst Artikel 104c des Grundgesetzes ermöglicht allenfalls eine finanzielle Beteiligung des Bundes an Bildungsinvestitionen. Der traditionelle Streit mit den Ländern und Kommunen ist also schon vorprogrammiert, sollten diese in altbekannte Argumentationsmuster verfallen. Und wie es aussieht, planen die Länder die Mittel schon für eigene Programme und Ideen ein, wie der Blick in die beiden jüngsten Koalitionsverträge in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zeigt. Denn bisher ist aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung nur sehr wenig zur Ausgestaltung des Programms zu hören, und somit machen die Länder lediglich ihre Hausaufgaben.
Aus unserer Sicht sollte der Bund inhaltliche Leitplanken und Anforderungen an die Verwendung der in Aussicht gestellten Mittel formulieren, damit das Geld am Ende denen hilft, um die es geht – den Kindern und Jugendlichen. Eine klare Fokussierung auf die Kernkompetenzen in Deutsch und Mathematik ist angesichts der IQB-Ergebnisse dringend geboten. Doch neben der Frage der Zuständigkeit bleiben weitere Baustellen und Fragen offen, die dieses Vorhaben aufwirft und einer Klärung bedürfen.
Verteilung der Mittel: Königsteiner Schlüssel oder neue Kriterien?
Die erste Frage lautet: Nach welchen Kriterien sollen die Mittel verteilt werden? Denn in Deutschland gibt es keine Definition von Schulen, die wegen ihres hohen Anteils an sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern vor einer besonderen Herausforderung stehen. Ein Sozialindex existiert nicht in allen Bundesländern, geschweige denn einer, der zwischen den Landesgrenzen hinweg
abgestimmt ist, wie im vorangegangenen Beitrag deutlich wurde. Nicht nur deswegen, sondern weil es die eingeübte Praxis für die Verteilung von Bundesmitteln ist, könnte der Königsteiner Schlüssel angewendet werden. Dieser richtet sich zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl. Das Geld wird also nicht danach verteilt, wo etwa die meisten
Kinder und Jugendlichen einen Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket haben oder die Anzahl der Schulen mit besonderen Herausforderungen besonders hoch ist. In einer Publikation im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (Groos & Knüttel, 2021), in Anlehnung an die Berechnungen von Detlef Fickermann und Ilka Hoffmann, wird das Verteilungsproblem durch den Königsteiner Schlüssel mit Blick auf die zwei Milliarden Euro aus dem „Aufholen nach Corona“-Paket des Bundes dargestellt. Nach dem Königsteiner Schlüssel bekam laut diesem Artikel Nordrhein-Westfalen 211 Millionen Euro und Bayern knapp 156 Millionen Euro. „Würden diese Mittel anteilig nach der Anzahl der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in Bedarfsgemeinschaften verteilt, müsste Nordrhein-Westfalen knapp 298 Millionen Euro und Bayern nur 75 Millionen Euro erhalten […]. Allein diese Zahlen verdeutlichen das große Ausmaß der sozialen Ungleichheit zwischen den Bundesländern und damit auch den hohen Bedarf, die Finanzierung des Bildungssystems deutlich stärker als bisher sozial ungleich zu denken und zu gestalten.“ (ebd., S. 3) Sollte der Bund beim „Startchancen“-Programm die Mittel nicht nach Bedarfslage verteilen und stattdessen wie beim Corona-Aufhol-Paket die bekannte Gießkanne des Königsteiner-Schlüssels anwenden, wäre das widersinnig, geht es doch darum, Ungleiches ungleich zu behandeln.
Genau das muss eines der Kernanliegen sein, wenn es darum geht, Schulen in Brennpunkten zu unterstützen. Die Schulen, die besonders viele Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien haben, arbeiten im Vergleich zu den meisten anderen Schulen unter ungleich schwereren Rahmenbedingungen und benötigen mehr Unterstützung. Auf besondere Herausforderungen können Schulen nur mit besonderen Ressourcen und Möglichkeiten reagieren. Der Bund müsste Kriterien benennen, damit am Ende tatsächlich die 4.000 Schulen mit dem höchsten Bedarf gefördert werden. Der Bezug von Leistungen aus dem SGB II von Kindern und Jugendlichen würde einen entsprechenden Anhaltspunkt liefern. Der Königsteiner Schlüssel passt hier jedenfalls nicht.
Ausstattung, Personal: Wo die Mittel sinnvoll eingesetzt werden sollten
1. Ausstattung:
Eine Verbesserung der Ausstattung dieser Schulen, die in der Regel in sozial und ökonomisch angespannten Stadtteilen verortet sind, ist prinzipiell zu begrüßen und im Grunde zwingend notwendig. Viele Schulen sind in einem maroden Zustand. Und dennoch stellt sich die räumliche Ausstattung und Situation der Schulen sehr differenziert dar. Das hängt mit der unterschiedlichen finanziellen Ausgangslage der Kommunen zusammen. Die Diskussionen über die Verteilung von Bundesmitteln für die Ausstattung sind allerdings aus dem Digitalpakt oder beim Ganztagsausbau bekannt: der Weg über die Länder, die zum Teil nicht abgerufenen Mittel auf kommunaler Ebene. Auch die vorhandenen Landesmittel für den Schulbau werden selten vollständig durch die Kommunen abgerufen. Das alles wird sich hier wiederholen. Und wie will der Bund, sollen die Länder und können am Ende die Träger gewährleisten, dass die Gelder dann bei den Schulen für „moderne, klimagerechte, barrierefreie“ Maßnahmen eingesetzt werden, die eine „zeitgemäße Lernumgebung mit Kreativlaboren“ ermöglicht? An vielen Schulen würden sich die Schülerinnen und Schüler zunächst über funktionierende Fenster oder Toiletten freuen. Sollte der Bund z.B. eine Milliarde Euro für die Ausstattung einplanen, wären das pro Schule im Schnitt 250.000 Euro. Vielleicht reicht das für einen Anstrich von innen und außen, sicher nicht für einen klimagerechten Umbau oder für eine moderne Lernumgebung an der ganzen Schule. Angesichts des sowohl von der KfW als auch vom Deutschen Städte- und Gemeindebund geschätzten Investitionsstaus an allen deutschen Schulen in Höhe von ca. 45 Milliarden Euro kann das „Startchancen“-Programm an dieser Stelle sicher nicht mehr bieten als einen Tropfen auf einem heißen Stein.
Bevor man sich auf die dafür notwendigen Verhandlungen mit Ländern und Kommunen wieder einlässt und der Bund am Ende nichts weiter tun kann, als fromme Wünsche zu formulieren, sollte eine Unterstützung für eine bessere Ausstattung schlicht gestrichen werden und sich der Bund stattdessen auf die anderen beiden Aspekte konzentrieren: Personal und Chancenbudget. Es sei denn, der Finanzminister stellt doch eine wesentlich höhere Summe zur Verfügung.
2. Personal
Bedeutung ist die verlässliche Absicherung von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern. Es fehlt an Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern und an Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern. Die Personalfrage ist das mit Abstand drängendste Problem. Fragt man die Schulen in Brennpunkten, wünschen diese sich vielfach mehr Schulsozialarbeit und angesichts der vielen befristeten Verträge deren langfristige Absicherung, um die Attraktivität dieser Jobs zu erhöhen. Die Zusammenarbeit in diesen Schulen in multiprofessionellen Teams gehört mittlerweile zum selbstverständlichen Alltag. Die Erzieherinnen und Erzieher an Ganztagsschulen, die Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter, Schulpsychologinnen und Schulpsychologen und eben die Schulsozialarbeit arbeiten immer mehr und immer stärker mit Lehrkräften zusammen. Statt also einen eher homöopathischen Beitrag für die räumliche Ausstattung zu leisten, hat die Schulsozialarbeit einen spürbaren und unmittelbaren Effekt, der vom Bund grundsätzlich besser nachgehalten und deren Wirksamkeit damit auch besser überprüft werden kann. Wie der Bund allerdings die dauerhafte Absicherung der Stellen hinbekommen will, ist eine spannende Frage. Da er keine Strukturen in diesem Bereich, sondern eher Projekte fördert, waren diese bislang immer befristet. Der Weg über das SGB VIII öffnet zwar grundsätzlich den Weg, sichert aber noch nicht die Stellen auf lange Sicht. Wird es einen Topf geben, aus dem sich die Träger der Kinder- und Jugendhilfe bedienen können? Und wie „dauerhaft“ wird die Förderung organisiert?
3. Budget
Aufmerksamkeit, zumal es den eigentlich innovativen Charakter des „Startchancen“-Programms ausmacht. Es geht um Geld, das den Schulen zur freien Verfügung zukommen soll. Dazu gibt es bereits Erfahrungen in den Bundesländern. Ein Vergleich der Schulbudgets in den verschiedenen Programmen unter Berücksichtigung der Vorgaben zur Verwendung findet sich im vorherigen Artikel. So stellt etwa Berlin immerhin 276 Schulen in sozialräumlich schwierigen Stadtteilen im Rahmen des „Bonus“-Programms jeweils bis zu 100.000 Euro zur Verfügung. Im „S4 – Schule stärken, starke Schule“ Programm in Rheinland-Pfalz sind es für 56 Schulen im Schnitt gut 10.000 Euro pro Jahr über einen Zeitraum von drei Jahren und in Schleswig Holstein erhalten die 62 „Perspektiv-Schulen”, abhängig von Größe und Belastungssituation, bis zu 300.000 Euro pro Jahr für maximal fünf Jahre. Die Beispiele zeigen, dass der Bund sich über die Erfahrungen der unterschiedlichen Programme für Schulen in herausfordernder Lage in den Ländern informieren sollte. Gibt es einen einheitlichen Betrag pro Schule, hängt dieser von der Anzahl der Schülerinnen und Schüler ab oder vielleicht von anderen Belastungssituationen?
Blick nach Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein: Kein Projekt, sondern eine nachhaltige Veränderung für Schulen im Brennpunkt
Geld allein schießt keine Tore: Notwendige Begleitung der Schulleitungen
Verknüpfung mit weiterem Projekt des Bundes
Vorläufiges Fazit
Mehr zum Thema finden Sie hier im neuen impaktmagazin „Programme & Strukturen für Schulen im Brennpunkt”.
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- Dr. Hanna Pfänder, Leiterin wissenschaftliche Analysen und impaktlab
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